Usurpator

Auf der Straße liegend
In einer größeren Kleinstadt, fernab des Vernünftigen, nahe der Verrücktheit, flanierte eine fein betuchte, juvenile Frau mit fuchsroten Haaren.
Vom Elternhaus verstoßen, von den Freunden verlassen, und doch frei – frei von indoktrinierender Bildung, fernab des Fascho-Mainstream und beruflicher Fähigkeiten oder akademischer Propaganda!
So sah es nun aus im Leben der jungen Elisa, die nun in einem Café saß und ein geschäftiges Treiben beobachtete.

Die Arbeiterinnen, allesamt Frauen, wuselten durch den Laden. Es war noch recht früh am Morgen und eine Lieferung kam an. Der massive Laster, den Elisa durch das Panoramafenster sehen konnte, wurde stürmisch von fetten Männern ausgeladen. Sie saß weit hinten im Café an einem Ecktisch, hinter ihr der Lagerraum. Dort knallte und krachte es mehrmals, gestresste Rufe hallten von dort nach vorn, wo denn der Schlüssel sei, man brauche den Schlüssel, dringend. Jetzt knallte es auch an der Theke, eine der schweren Holzkisten ging zu Boden und sogleich zog jemand das versehrte nach hinten. Vor Elisa saß eine Gruppe von Bürolingen in aufgeregter Unterhaltung. Es hämmerte und stichelte und die wilde Menge schoss immer wieder aufeinander ein im Gespräch, bis es wieder knallte und krachte: ein älterer Mann stellte etwas unbedacht sein Tablet auf den stählernen Wagon ab und verließ die Szenerie. Langsam räumten auch die anderen Gäste ab. Die aufgeschreckte Truppe marschierte los und ging ab. Eine spindeldürre Frau kam aus dem Lagerraum hervor, räumte die verbliebenen Reste der Menschen auf und ging ab.
Nun, da Ruhe einkehrte, war es Elisa, die auffiel. Ihr Milchkaffe war schon längst leer, ihr Blick war müde. Sie roch nach Schweiß, das wusste die selber. Unter ihren Fingernägeln fand sich ein rötlicher Schmutz – Zeugnis ihrer revolutionären Taten, die die Fesseln der Gesellschaft sprengten. Es war die Stunde ihres großen Winderstands. Umso logischer war es, das zu dieser Zeit auch Carthago erschien.
Carthago war etwas über fünfzig und sein Gesicht zeichneten tiefe Furchen, wie es häufig bei Kettenrauchern der Fall ist. Er war ein echter Hamburger – er hatte den typischen Dialekt, nur redete er sehr viel und hat so ziemlich alles erlebt was diese rote Stadt zu bieten hat. Mit Freunden besetzte er einst ein paar Häuser nahe der Reeperbahn, bevor ihnen der rechtmäßige Eigentümer ein paar Schlägertrupps auf den Hals hetzte. So kam es, dass Carthago, mehr als fünfzehn Jahre später, immer noch unter der Bewährung litt – allein aufgrund eines boshaften Richters und dem skrupellosen Staatsanwalt Schmid.
Carthago setzte sich nun direkt vor sie, sodass sie aufschreckte. “Hast du Lust, die Welt zu verändern?”, aus seinen Augen stieß Feuer, Elisa war fortan in seinen Bann gezogen. In ihm brannte eine Idee. Vom Elternhaus verstoßen und von der Polizei aufgrund von Lappalien gesucht, bot dieser Mann nun Elisa nicht nur Hilfe an (die hätte sie aus Überzeugung abgelehnt), sondern einen Mission.
Er bezahlte den Café für sie, dann flanierten die beiden durch die Stadt. Er sagte zu Elisa, dass sie schon bald einen weiteren Genossen im Kampf gegen das kapitalistische Dreckssystem antreffen würden. Sein reges Erzählen auf dem Weg, wie er früher gegen die rigorose Staasmacht kämpfte, faszinierten sie. Nach ein paar Metern, zeigte er dann auf einen Mann, sechs bis acht Jahre älter als Elisa. Er stand neben einer dieser Kettenbäckereien, die das Handwerk der einfachen Arbeiter wertlos machte und alles dem Profit unterordnete.
Viel Zeit zum Vorstellen blieb allerdings nicht, denn Carthago schickte ihn direkt weg “Timur, hol uns mal was zu Essen”, Timur schlürfte hinweg und kam mit fünf belegten Brötchen wieder und die drei gingen direkt weiter.
Timur war ein mittelgroßer Mann mit einem breiten Kreuz. Seine Haarlinie war schon etwas weiter zurückgeschritten als bei anderen Altersgenossen. Doch es waren seine Augen, die Elisa so faszinierten, sie waren gänzlich leer – leer und stumm und einzig und allein erfüllt vom Willen, diese Welt zu verändern.

Die Polizei
Auf der Polizeistation Gronau-Arndorf herrschte eine träge Stille. Oberkommissar Hiltner war mit staatszersetzenden Kommentaren auf Facebook beschäftigt, einer der links-grün versifften Medienstricher forderte tatsächlich, dass Kollegen von ihm die Selbstverbrennung eines Fremden nochmal untersuchen.
Seine eigentlichen Kollegen draußen vor dem Büro bekamen davon nur wenig mit – während Göbel und Romm mit dem Fall eines Ladendiebes beschäftigt waren, polterte die wasserstoffblonde Frau Fasch über einige Aktenordner, Hiltner entschloss sich, dem Ganzen eine Ordnung aufzuerlegen und schritt aus seiner Tür, um sich ins Bild über den Diebstahl setzen zu lassen. Göbel klemmte sich eine Zigarette in den Mundwinkel: “Ein junger Mann hat sich an der Bäckerei am Bahnhof fünf Brötchen genommen, sich entschuldigt und ist dann ohne zu zahlen abgehauen.” “Asylanten?”, bellte Frau Fasch. “Prüfen wir noch, soll verwirrt gewirkt haben”, “Aha!”, jaulte sie, denn der Fall für sie schon gelöst. Hiltner dagegen plagten ganz andere Sorgen: Der Staatsanwalt war bekannt dafür, dass er die Arbeit seiner Einheit nicht immer begrüßte, denn anstatt der Wahrheit zu dienen, war Schmid ein sklavischer Lakai der politischen Korrektheit.
Unter Blinden
Carthago hatte nur ein Auge.
Er hatte sie gerade mit in seine Wohnung genommen, nun saßen sie in einem sehr dunklen Zimmer, in dem sogar die Uhr still stand. Sie warteten allesamt auf die vierte und letzte Mitstreiterin ihres großen Unterfangens. Währenddessen nahm Carthago sein Glasauge heraus, die anderen befühlten es fasziniert. Er hatte es in einer dunklen Gasse gefunden, tapsend in der Nacht, und er erkannte, dass es einen Widerstand bräuchte.
In diesem Moment erschien Patrizia, hochgewachsen mit dunklen Augenhöhlen und Furchen im Gesicht, wie sie nur jahrzehntelanges Rauchen verursachen.
Alsbald knurrte Carthago, über die bösen Gestalten da oben, die uns krank machen, uns verhungern lassen!
Aber die unter uns, die Folgsamen sind noch schlimmer, jaulte ein anderer auf, die die Diktatur bestehen lassen. Das sind die wahren Übeltäter. Elisa sprang hoch, es sind die anderen, die uns unterdrücken, denen wir egal sind, diese Gestalten die uns das Menschsein absprechen, diese Tiere. Die da unten, bellte Timur, die das nicht interessiert, die sich im Dreck suhlen.
Nein, wir sind es, fauchte Carthago. Weil wir nichts gegen die tun, die schuldig sind.
Schuldig. Schuldig, wer geschehen lässt.

WELT/FEIND
Elisas Eltern legten eine große Kerze nieder, am Grab von Siegfried. Die anderen Steine aus den Vierzigern sind trostlos und leer, nicht so aber ihr Siegfried. Sein Grab ist anders, weil er war ja auch anders. Siegfried war zwar in der SS, aber nur weil das jeder so musste, der Aggressionsprobleme hatte. Siegfried arbeitete häufig am Bahnhof, er arbeitete gern mit Menschen und solchen Sachen. Und er war auch eigentlich gegen die Nazis: Einmal, da war er ganz alleine am Bahnhof und es wurde ein Güterwaggon mit so einigen beladen, brechend voll war es da, wirklich anstrengend für Siegfried! Er jedenfalls noch etwas Brot übrig, und einen Apfel, weil die mochte er nicht. Bevor er die Waggontür schloss, schmiss er sie noch zu einigen Kleinen zu, weil die mussten so lange fahren.
Siegfried aß an diesem Tag bis in den frühen Abend nichts mehr. So war er, unser Siegfried

Siegfried starb durch eine Granate, die nicht los ging, bis er drauf trat. Sie schoß ihm die Hoden weg und perforierte seinen After. Siegfried verblutete ein paar Stunden darauf, nachdem die Ärzte hilflos und ohne Betäubung versuchten, die Wunden mit einer Stricknadel zu nähen.
Das war es, was Elisas Mutter ihrem Mann natürlich nicht erzählte

Insekten /(Von Insekten und Kötern/(Hunden))
Waren sie rebellisch in Ihrer Jugend? Wenn ja, mussten sie sich je anhören, wenn sie dies oder jenes nicht täten, „dann schläfst du unter der Brücke, Junge,“? Elisa, Eltern sagten das regelmäßig. Also genau genommen sagten sie “Wenn du so weiter machst, dann landest du unter der Brücke, Engel!“ Mittlerweile fragte sie sich, ob das überhaupt eine Dro­hung von ihren Eltern war, oder eher ein Angebot.
Denn es gefiel ihr hier.
Der Tausendfüßler war weit entfernt von ihrem Elternhaus tief im Süden der Stadt. Hier oben unter der Brücke hielten immer so kleine weiße Vans, „Eilige Arzneimittel“ stand auf der Frontscheibe. Sie hielten hier allein, zu zweit oder auch manchmal in kleinen Grüppchen. Sie öffneten dann die schweren Hintertüren des Van, und der Geruch von Desinfektionsmitteln strömte heraus. Dann holten sie kleine, vereiste Kisten. Die zischten beim Öffnen und kalter Dampf stieg empor und es roch nach Kotze. Oder Katze.
Auf jeden Fall aber nach Revolution. Carthago schaute prüfend in eine der Kisten hinein, nickte und verschloss sie wieder. Hiermit sollten sie (bewusstseinserweiternd) der engen Welt des Kapitalismus ent­kommen. Eine zweite Kiste war für die Marktschweine an der Wall Street in Frankfurt oder so. Elisa hatte nicht so ganz zugehört. Timur lud die zwei Kisten ins Auto und Elisa setzte sich auf eine, weil Carthago hatte die Hintersitze rausgenommen. Die waren verwanzt. Als die drei losfahren, bogen die Faschos von der Bullerei auch schon um die Ecke.

Herr Hiltner blickte auf die Hintersitze, die jemand unter der Brücke entsorgt hatte. „Verdammte Rowdys.“ Sein Blick schweifte über den Haufen Schrott und er schüttelte mit dem Kopf.
Was hatte er nicht alles getan, um diese Unordnung zu verhindern? Hatte er nicht mit harter Hand all die Unruhestifter, die ganzen Asozialen –
Herr Hiltner schüttelte noch ein paar Mal, bis es nicht mehr tropfte, dann schloss er seinen Hosenstall.

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